Mitte August wird eine Delegation des Internationalen Gerichts für die Rechte der Natur, das zuletzt in Deutschland getagt hat, nach Bolivien reisen, um sich vor Ort ein Bild über die Situation im Nationalpark TIPNIS (Territorio Indígena y Parque Nacional Isiboro Sécure) zu machen. Im November 2017 hatten Vertreter_innen der indigenen Gemeinden des TIPNIS die bolivianische Regierung vor diesem Gericht angeklagt.
Anlässlich des bevorstehenden Besuches ist das Thema TIPNIS wieder vermehrt in den Medien präsent. Eine interessante Perspektive bringt Alcides Vadillo ein, den ich bereits im September 2017 zum TIPNIS interviewt hatte (zum Artikel). Regierungskritiker_innen und Aktivist_innen stellen die Regierung von Evo Morales, die mit dem Wunsch nach Wachstum und Gewinn auf Kosten von Natur und Menschenrechten der Logik der Industriestaaten folgt, oft «der indigenen Bevölkerung» gegenüber, die generalisierend als Verfechterin von Mutter Erde und als Opfer der Politik von Morales betrachtet wird. Vadillo, der als Koordinator der NGO Fundación Tierra seit Jahrzehnten mit indigenen Organisationen zusammenarbeitet, weist auf die Notwendigkeit hin, auch die indigenen Gruppen differenzierter zu betrachten. Nicht selten kommt es nämlich vor, dass deren Vertreter_innen mit der Regierung zusammenarbeiten, dafür gut bezahlt werden und sich dabei genauso von der indigenen Kosmovision und «Madre Tierra» (Mutter Erde) verabschieden wie der bolivianische Präsident selbst, der ebenfalls indigener Abstammung ist.
AUSSCHNITT AUS DEM ARTIKEL IN DER ZEITUNG «EL DEBER» VOM 27. JULI 2018:
«Einige der indigenen Vertreter_innen entwickeln nun den ‹Stil Evo›», schreibt Alcides Vadillo Pinto in einer Publikation der Fundación Tierra. Die Regierung habe die indigenen Organisationen infiltriert, kaufe und besteche ihre Vertreter_innen und schaffe es so, die Indigenen zu spalten. Er betont, dass das merkantilistische Entwicklungsmodell auch in den indigenen Völkern immer mehr an Boden gewinne. «Man hat sie glauben machen, dass Entwicklung zwangsläufig mit dem Ausverkauf der Natur einhergeht, mit Landwirtschaft mit Traktoren, Maschinen und Pestiziden», bedauert er.
Der Fondo Indígena (eine Organisation der Entwicklungszusammenarbeit, die spezifisch Projekte finanziert, die die Entwicklung und Anerkennung indigener Völker zum Ziel haben) finanziere inzwischen in erster Linie Traktoren, mit dem Wälder abgeholzt und Anbauflächen gewonnen werden können. «Das ist die Vision von Entwicklung, die vom Staat propagiert wird und die langsam auch viele Indigene übernehmen, obwohl ihnen damit die Zerstörung ihrer Territorien droht. Angesichts dessen erstaunt es nicht zu sehen, wie Indigene über Holzpreise verhandeln und Landflächen an Konzerne oder Privatpersonen verpachten. «Einige Vertreter_innen der indigenen Organisationen beginnen ausserdem, den Führungsstil von Evo Morales zu kopieren – entscheiden über die Ressourcen der ganzen Gemeinschaft, über den Verkauf von Holz, die Verpachtung von Land, kassieren das Geld von den Unternehmen, die dort nach Öl bohren wollen etc., und dies, obwohl im indigenen Gemeinschaftssystem die Ressourcen eigentlich allen gemeinsam gehören. Immer mehr indigenen Vertreter_innen handeln zu ihrem eigenen Wohl und nicht mehr zu dem der Gemeinschaft.»