2015 wurde die französische Modedesignerin Isabel Marant von einer Gruppe von Kunsthandwerkerinnen des mexikanischen Dorfes Santa María Tlahuitoltepec mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert: Sie hatte sich für das Design verschiedener Kleidungsstücke traditioneller Muster der Mixe-Indigenen bedient, ohne deren Einverständnis und ohne sie am Gewinn zu beteiligen. In Santa María Tlahuitoltepec kostet die Bluse umgerechnet 15 Schweizer Franken, bei Marant 230 Franken. Das Problem ist: Das Muster ist nicht urheberrechtlich geschützt. Und das, obwohl es seit mehr als 600 Jahren Bestandteil der Mixe-Kultur ist. Denn im Rahmen der aktuellen internationalen Gesetzgebung können nur Einzelpersonen oder Unternehmen als Urheber/innen gelten und das Recht auf geistiges Eigentum anmelden.

Während sich die Mixe also in einem Rechtsvakuum befinden, hat ein anderes französisches Modeunternehmen, Antik Batik, proklamiert, die Urheberrechte am betreffenden Design zu besitzen, und Isabel Marant ebenfalls des Plagiats beschuldigt. Rechte hat eben nur, wer sich in der Welt der Formalitäten, Gesetze und Bürokratie bewegt – egal, ob er an der Erarbeitung dieser Regelwerke beteiligt gewesen ist, Kenntnis davon hat, mit ihnen einverstanden ist oder in einem Kontext lebt, an dem andere, teilweise viel ältere Spielregeln gelten, die aber international nicht anerkannt sind. Die Erfindung von Patenten, Urheberrecht, Schutz von geistigem Eigentum und Konsorten ist definitiv auf dem Mist des globalen Nordens gewachsen, und zwar zu einer Zeit, in der sich der «moderne Mensch» mehr und mehr als Individuum zu definieren begonnen hat statt als als Teil eines Kollektivs.
Das Regelwerk zu geistigem Eigentum, Nutzungsrechten und Lizenzen dient vor allem den finanziellen Interessens des Urhebers oder der Urheberin, indem sie Dritten verbieten, das betreffende Produkt zu verkaufen, zu vermarkten oder sonst irgendwie Geld damit zu verdienen, und umfasst die unterschiedlichsten Arten von Kenntnissen und Produkten, zum Beispiel technische Erfindungen, wissenschaftliche Forschung, künstlerische und literarische Werke, und eben: Designs. Das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum erwähnt dabei unter der Kategorie Design nebst Flaschenetiketten, Sessel- oder Lampenformen explizit auch Stoffmuster. Aber nur offiziell eingetragene Designs gewähren ihren Urheber/innen die gewerblichen Schutzrechte. Die Mixe verfügten nicht über das erforderliche Papier und haben von Isabel Marant zwar eine Entschuldigung, aber keinen Rappen erhalten.
Doch sind die sie nicht die einzigen, die in den vergangenen Jahren Modedesigner/innen aus dem Norden mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert haben:
· Das indigene Volk der Navajo klagte das nordamerikanische Modehaus «Urban Outfitters» an, weil es Kleidung mit Navajo-Stoffmustern verkauft und bei der Werbung auch den Namen Navajo verwendet hat, allerdings mit einer leicht abgeänderten Schreibweise. Zur formalen Anzeige konnte es kommen, weil die Navajo ihr Design als geschützte Marke hatten eintragen lassen. «Urban Outfitters» hätte eine Strafe von 1’000 Dollar pro Artikel und pro Tag, an dem dieser in den Schaufenstern ausgestellt worden war, zahlen müssen. Die Parteien einigten sich jedoch aussergerichtlich auf eine Ausgleichszahlung, über deren Höhe nichts bekannt ist.

· Pakistan warf dem englischen Designer Paul Smith vor, die traditionellen pakistanischen Sandalen, die vor Ort weniger als umgerechnet 20 Franken kosten, praktisch eins zu eins kopiert und in England für 300 Pfund (390 Franken) verkauft zu haben. Daraufhin fügte er in einem Onlineshop einen Hinweis darauf ein, dass das Schuhmodell vom Design der pakistanischen Chappals inspiriert worden war – damit anerkannte er zwar das Urheberrecht des Designs an, jedoch ohne dass sich daraus das Recht auf eine finanzielle Entschädigung oder Beteiligung ergeben hätte, wie es das Gesetz verlangt, wenn die Urheberschaft bei einer Person oder einem Unternehmen liegt statt bei einem Kollektiv.
· Kunstschneider/innen aus dem rumänischen Bihor starteten eine grosse Kampagne gegen die französische Luxusmarke Dior, die verschiedene Kleider mit traditionellen Bihor-Designs herausgebracht und für bis zu 35’000 Dollar verkauft hatte. Den kleinen Imageschaden wird Dior wohl schnell wegstecken, während die Schneider/innen in Bihor ihren Lebensunterhalt mit dem Design verdienen.

· Indigene Weber/innen aus Guatemala wehrten sich gegen den Verkauf von Kleidern mit traditionellen Maya-Stoffmustern in verschiedenen Modehäusern in den USA. Die Maya betonten genau wie die Mixe, dass ihre Designs nicht einfach nur dekorative Muster sind, sondern Symbole der Identität und der kulturellen Zugehörigkeit. Einige der verwendeten Ornamente haben spirituelle Bedeutung und werden nur von bestimmten Personen und bei bestimmten Gelegenheiten getragen. Als Reaktion auf die Entwendung und Entfremdung ihrer Stoffmuster arbeiteten die Maya-Weber/innen nun zusammen mit den Vertreter/innen anderer indigener Gruppen einen Gesetzesentwurf aus, der indigene Völker als Urheber geistigen Eigentums anerkennen soll.
Wie ein Fall in Deutschland zeigt, funktioniert der Designschutz dagegen ganz gut, wenn die Urheberschaft nicht bei indigenen Völkern liegt: 2017 wurde ein Apotheker vom Landsgericht Frankfurt verurteilt, weil er das Logo seiner Apotheke auf ein Frottiertuch eines bekannten Herstellers von Heimtextilien aufgenäht hatte, dessen Design eingetragen und geschützt war.
Auf Grund solcher Diskrepanzen wird bei der WIPO und anderen Instanzen darüber diskutiert, wie das traditionelle Wissen von indigenen Gemeinden und damit deren gesellschaftliche Strukturen geschützt werden können: Mit dem «Zwischenstaatlichen Komitee für Geistiges Eigentum und genetische Ressourcen, traditionelles Wissen und Folklore» soll ein neues Rechtsinstrument geschaffen werden, das der indigenen Bevölkerung eine faire Beteiligung an den Gewinnen ermöglichen könnte, die aus der Nutzung ihres traditionellen Wissens resultieren. Die Verhandlungen sind seit Jahren im Gang – ohne Ergebnis, da praktisch alle Staaten des globalen Nordens sich dagegen aussprechen und fordern, dass Wissen und Kenntnisse dieser Art – zum Beispiel über Heilpflanzen – Allgemeingut, frei zugänglich und für alle nutzbar sein sollen. Das bedeutet konkret: Wenn sich ein europäischer Pharmakonzern vom Heilpflanzenwissen indigener Völker «inspirieren» lässt, kann er danach Patente anmelden, mit denen er Millionen verdient, ohne den Entdecker/innen dieser Pflanzen, den Urheber/innen dieses Wissens auch nur einen Rappen zu schulden.
Das Problem ist: Das System an sich wird nie hinterfragt. Hat an internationalen Verhandlungen schon einmal jemand die Frage in den Raum gestellt, ob es im globalen Regelwerk nur um Legalität geht oder auch um Gerechtigkeit? Hat schon einmal jemand darauf hingewiesen, dass Gesetze und Abkommen einfach nur Konstrukte sind und die Kategorien «Legalität» und «Illegalität» bis zu einem gewissen Grad willkürlich, beziehungsweise das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Partner/innen, die in der Regel vor allem auf den eigenen Vorteil bedacht sind? Ist Legalität mehr als eine leere Worthülse, wenn es legal ist, dass ein französisches Modehaus sich als Urheber eines Designs eintragen lässt – und damit Geld verdient –, das in einem mexikanischen Dorf nachgewiesenerweise seit hunderten von Jahren benutzt wird?