Seit dem zweiten Wahlgang der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen letzten Sonntag ging es in Peru turbulent her und zu. Wer die Wahl gewonnen hat, steht noch nicht fest. Stand Freitag Abend, 17:00 Uhr Ortszeit sind 99.587% der Stimmen ausgezählt, und Pedro Castillo führt mit 50.170 Prozent und einem Vorsprung von gut 60’000 Stimmen.
Die knappen Wahlresultate zeigen, wie tief gespalten das Land ist. Dabei sind die Fujimori- und die Castillo-Wählerschaft auch geographisch klar getrennt. Vor allem der Süden des Landes stimmte mit grosser Mehrheit für Castillo. Fujimoris Unterstützer*innen befinden sich in den Städten, vor allem in der Metropole Lima, die einen Drittel der Landesbevölkerung stellt. Dort gewann Fujimori mit 65,706% der Stimmen – weniger als erwartet. In Cusco gewann Castillo mit 83,198%, in Puno mit 89,256%.
In den Sozialen Netzwerken machen Aufrufe zur politischen Trennung von Nord- und Südperu die Runde, und die gegenseitigen Anfeindungen werden immer schärfer. Weil in in Cusco mit grosser Mehrheit für Pedro Castillo gestimmt wurde, haben Peruaner*innen aus anderen Landesteilen unter dem Hashtag #CuscoYaFue dazu aufgerufen, als Strafe nicht mehr dorthin zu reisen – denn der Tourismus ist eines der wichtigsten Standbeine der Stadt. Viele Bewohner*innen von Cusco und Castillo-Unterstützer*innen aus anderen Regionen äusserten sich in der Folge sarkastisch zu diesem Boykottplan und sagten: Super, endlich haben wir in Cusco Ruhe vor den Faschisten.
Auffällig ist auch, wie haushoch die Ablehnung Fujimoris in den Regionen ist, die besonders stark vom Bergbau und seinen tödlichen Konsequenzen betroffen sind. In Espinar gewann Castillo mit 92,212%, in Cotabambas mit 91,156% und in Chumbivilcas mit 96,458%. Fujimori setzt auf ein neoliberales Modell, dass die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen noch pushen möchte, und versprach während des Wahlkampfs auch Vorteile für die lokale Bevölkerung. Diese weiss aber aus Erfahrung, dass solche Versprechen nie eingelöst werden, und stellt sich fast geschlossen hinter Castillo.
Auf der anderen Seite geben viele, die für Keiko Fujimori gestimmt haben, zu, dass sie dies mit einem flauen Gefühl im Magen getan haben. Natürlich ist ein Grossteil der Mittel- und Oberschicht mit ihrem politischen Programm einverstanden, aber sie hat auch Wähler*innen aus sozial schlechter gestellten Bevölkerungsschichten, für die zum Beispiel die Angst vor politischer Instabilität ausschlaggebend ist. Fujimori verspricht eine «Führung mit harter Hand» und hat eigens den Begriff «demodura» geprägt – democracia con mano dura, Demokratie mit harter Hand. «Wenn Castillo gewählt wird, wird Peru keine Demokratie mehr sein», sagte zum Beispiel meine Friseurin, und mit dieser Meinung steht sie nicht allein da. Die grossen Medien, die fast alle hinter Fujimori stehen, haben ganze Arbeit geleistet mit ihrer Anti-Castillo-Kampagne und der Behauptung, er wolle aus Peru einen kommunistischen Staat machen. Auf der anderen Seite teilen aber auch viele, die Castillo gewählt haben, das flaue Gefühl. Statt sich zu freuen, dass Castillo vorne liegt, sagen sie nur: «Zum Glück scheint Fujimori zu verlieren. Beim Gedanken daran, dass sie Präsidentin werden könnte, bekomme ich Angstzustände.» Wie ich bereits im Eintrag vom 3. Juni erwähnt habe, kommt ein nicht unbeachtlicher Teil der Stimmen auf beiden Seiten dadurch zu Stande, dass man den anderen Kandidaten auf jeden Fall verhindern will.
Juristischer Schlagabtausch zwischen den Parteien
Am Mittwoch Abend forderte Keiko Fujimori an einer Pressekonferenz, dass 200‘000 Stimmen annulliert werden müssten, weil gemäss ihren Anwälten Unregelmässigkeiten vorliegen. Bezeichnenderweise betraf dies praktisch nur Stimmen in den Regionen, die mit grosser Mehrheit für Castillo gestimmt hatten. Am Donnerstag häuften sich dann die Gegen«anzeigen» aus den betroffenen Gemeinden, die zeigten, dass die Vorwürfe wohl nicht der Realität entsprechen dürften. Tatsächlich betonte auch der Generalsekretär des Transparenz-Komitees «Asociación Civil Transparencia», Iván Lanegra Quispe, dass die Wahlen in Peru regulär abgelaufen seien. «Es gibt keinerlei Hinweis auf systematische Wahlfälschung. Alles bewegt sich im normalen Rahmen.» Will heissen, es sind tatsächlich an einigen Orten Versuche von Wahlbetrug entdeckt worden, zum Beispiel indem zig Wahlzettel für die eine oder andere Partei ausgefüllt worden waren, aber es ist davon auszugehen, dass dies Einzelaktionen waren und kein koordiniertes Vorgehen – ausserdem ist das bei Wahlen in vielen lateinamerikanischen Ländern eigentlich Standard. Diese Stimmen – jeweils weniger als hundert – wurden bereits als ungültig erklärt und haben nichts mit den 200’000 von Fujimori gemeldeten Falschstimmen zu tun, teilweise ging es auch um Wahlbüros in Lima.
Pedro Castillos Partei «Peru Libre» sowie diverse indigene Organisationen aus den Anden und dem Amazonasgebiet Perus nahmen Stellung zu den Vorwürfen von Keiko Fujimori und kritisierten diese scharf. «Die Vorwürfe zeugen von einem Mangel an Respekt gegenüber der indigenen Bevölkerung. Hier im ländlichen Raum hat kein Wahlbetrug stattgefunden. Wenn unsere Stimmen nicht respektiert werden, werden wir einen Protestmarsch nach Lima starten», sagte Lourdes Huanca, Präsidentin der Vereinigung der Frauen aus dem ländlichen Raum (FENMUCARINAP). Lizardo Cauper, Präsident der Organisation AIDESEP, fügte hinzu: «Zuerst leugnen sie unsere Existenz, und jetzt wollen sie unsere Stimmen für ungültig erklären lassen. Diese Vorwürfe zeugen von Rassismus gegenüber den indigenen Gemeinden in den Anden und im Amazonas. Wir rufen den Notstand aus, um unsere Stimmen zu verteidigen. Es wird versucht, das peruanische Volk zu spalten.» «Die indigenen Völker werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt», betonte auch Victor Maita Frisancho, Präsident der nationalen Agrarvereinigung CNA. «Wenn wir nicht respektiert werden, werden wir alle sozialen Organisationen dazu aufrufen, Massnahmen zur Verteidigung zu treffen.»
Am Freitag hat die nationale Wahljury (Jurado Nacional de Elecciones JNE) einen weiteren Schub der Empörung ausgelöst, als sie bekanntgab, dass die Frist, um Verdachtsfälle von gefälschten Stimmzetteln einzugeben, bis Freitag Abend um 8 Uhr verlängert wird. Dies hat Pedro Castillos Partei «Peru Libre» an einer Pressekonferenz scharf kritisiert. «Die JNE hat somit Absprachen mit Keiko Fujimoris Partei «Fuerza Popular» getroffen», sagte Aníbal Torres, einer von Castillos Beratern. «Das bedeutet, dass diese Wahlen nicht mehr als sauber und transparent gelten können.» Sobald diese Fristverlängerung der JNE rechtskräftig sei, würde «Perú Libre» dagegen vorgehen.
Bruch zwischen dem Parlament und Staatspräsident Sagasti
Als ob das alles nicht schon genug wäre, bahnt sich eine Krise in der aktuellen Regierung an. Luis Valdez, der Präsident der Verfassungskommission des peruanischen Parlaments, will Staatspräsident Francisco Sagasti anklagen, weil er angeblich versucht haben soll, die Wahlen zu beeinflussen. Sagasti hat in den Medien zugegeben, während der Auszählung der Stimmen Kontakt mit verschiedenen Personen aufgenommen zu haben, die den beiden Kandidaten Pedro Castillo und Keiko Fujimori nahestehen – was gemäss peruanischer Gesetzgebung verboten ist, bevor das Wahlresultat nicht offiziell feststeht. Sagasti betonte, dass er lediglich versucht habe, die angespannte Lage im Land zu beruhigen. Gemäss eigener Aussage hat er beide Seiten dazu aufgefordert, die Ruhe zu bewahren und das offizielle Ergebnis abzuwarten. Unter den Personen, mit denen er Kontakt hatte, befand sich auch Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, der zu den flammenden Verfechtern von Fujimori gehört – und sich deshalb bei vielen Peruaner*innen endgültig ins Aus geschossen hat. Auf dem TV-Kanal Willax, der bekannt für seine Fakenews und eine reisserische Berichterstattung ist, wurde jedoch behauptet, Sagasti hätte Vargas Llosa aufgefordert, Keiko Fujimori dazu zu bringen, ihre Vorwürfe wegen Wahlbetrug zurückzuziehen. Sagasti streitet dies jedoch klar ab.
Die Krise zwischen Luis Valdez und Francisco Sagasti geht auch auf die hitzige Debatte über Verfassungsreformen in den letzten Wochen zurück. Das peruanische Parlament will in den verbleibenden Wochen der aktuellen Amtszeit (die am 28. Juli endet), eine grosse Zahl an Reformen verabschieden, die zum Teil einschneidend wären. Sagasti vertritt die Meinung, dass dies vollkommen übereilt sei und vom neuen Parlament in Ruhe debattiert werden sollte. Valdez wirft ihm deshalb vor, dass er parlamentarische Prozesse blockiert und deshalb als Präsident untragbar ist.
Wir dürfen gespannt sein, was als nächstes kommt …
[…] sie in der Regierung vertreten würde. In Cusco hatte er mit 83,198% gewonnen, in Puno mit 89,256% (siehe auch Beitrag vom 12.6.2021). Auf der anderen Seite gab es auch viele, die für Castillo gestimmt hatten, weil sie um jeden […]
LikeLike