Nachdem die Konzerninitiative im November vom Volk angenommen wurde, aber am Ständemehr scheiterte, haben wir uns geschworen: Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen! Gesagt, getan. Zurzeit läuft eine Petition für ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz. Fast 96’000 Personen haben bereits unterschrieben, doch bis am 27. November sollen 135’000 Unterschriften zusammenkommen.
Bitte unterschreiben: https://konzernverantwortung.ch/petition/
Mit dieser Petition soll auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter mit Nachdruck an ihr Versprechen erinnert werden, dass sie während der Abstimmungskampagne von Kovi 1.0 immer wieder angeführt hat: Ein Konzernverantwortungsgesetz solle «international abgestimmt» sein, so dass «gleich lange Spiesse» für Konzerne in der Schweiz und in Europa gelten. Nachdem nun sogar die EU-Kommission ein Konzernverantwortungsgesetz präsentiert hat, ist der Zeitpunkt gekommen, dass der Bundesrat und das Parlament sich nicht länger querstellen.
Im Heft «Erwägungen», das als Beilage der «Neuen Wege» erscheint, durfte ich nochmals einen persönlichen Aufruf platzieren, den ich gerne hier teile:
Schweizer Unternehmen würden sich in der überwiegenden Mehrheit verantwortungsvoll gegenüber Mensch und Umwelt verhalten, sagte Bundesrätin Karin Keller-Sutter in einer Medienkonferenz im Oktober 2020. Doch die Menschen, von denen hier die Rede ist, widersprechen ihr mit Nachdruck. Dies hat sich im Rahmen der Recherchen für unseren Dokumentarfilm «Das Blut des Flusses» immer wieder gezeigt. «Früher gab es hier viele Tiere», sagt Carmen Chambi, die in der Gemeinde Alto Huancané lebt. «Frösche, Wasservögel, Forellen und andere Fische, doch nun sind sie alle verschwunden.» Die vergifteten Gewässer stellen oft die einzige Wasserquelle der indigenen Gemeinden dar, welche dadurch einer hohen Schwermetallbelastung ausgesetzt sind. Dies hat schwerwiegende gesundheitliche Konsequenzen. «Sie lassen uns hier langsam sterben, und weder der Staat noch Glencore übernehmen Verantwortung für unsere Situation», klagt Chambi. «Wie die meisten hier habe ich fast dauernd Kopf- und Magenschmerzen. Ich fühle mich geschwächt und kann keine weiten Strecken mehr gehen. Mein Sohn musste an der Lunge operiert werden. Unsere Kinder sind zum Tode verurteilt und benötigen regelmässig Medikamente und medizinische Behandlung, für deren Kosten wir selbst aufkommen müssen, da wir keine Krankenversicherung haben.»
Während des Abstimmungskampfes zur Konzern-Initiative wurde mir bewusst, mit welcher Selbstverständlichkeit sich viele Schweizer Politiker*innen auf die Seite der Wirtschaft stellen. Tatsächlich haben bei den Filmvorführungen in der Schweiz viele Menschen erstaunt reagiert: «Mit diesem Wissen hätte ich für die Konzern-Initiative gestimmt», sagte etwa ein älterer Herr in Rapperswil. «Doch ich habe der Einschätzung des Bundesrates vertraut. Heute weiss ich, dass wir angelogen wurden.»
Doch die Gegenkampagne des Bundesrates endete nicht mit der – wenn auch knapp – verlorenen Abstimmung. Was darauf folgte, war eine regelrechte Hetzjagd gegen kirchliche und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für die Konzern-Initiative eingesetzt hatten. Ein Monat nach der Abstimmung gab Bundesrat Ignazio Cassis bekannt, dass NGOs künftig keine DEZA-Gelder mehr für Kampagnen und Sensibilisierungsarbeit einsetzen dürfen. Ob so verhindert werden soll, dass hierzulande bekannt wird, welche Schäden die Schweizer Politik und Wirtschaft im Ausland anrichten? Das Katholische Medienzentrum kath.ch hat es damals gut auf den Punkt gebracht: «Ein Hilfswerk darf zwar weiterhin afrikanische Bäuerinnen im Gewinnen von traditionellem Saatgut unterstützen, in der Schweiz aber keine Veranstaltungen mehr durchführen, die die Macht multinationaler Konzerne über die Landwirtschaft im südlichen Afrika beleuchten.» Im Antwortschreiben hält das EDA fest, dass «die DEZA-Programmbeiträge für die Armutsbekämpfung und Förderung der nachhaltigen Entwicklung in den Entwicklungsländern investiert werden sollen».
Doch genau hier liegt der Denkfehler. Während meiner jahrelangen Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit bin ich zum Schluss gekommen, dass der Ansatz «Armut vor Ort bekämpfen» genauso illusionär und arrogant ist wie die Forderung «Fluchtursachen vor Ort bekämpfen». Denn die Gründe für Armut und soziale Ungleichheiten in den so genannten Entwicklungsländern liegen nicht primär in der Unfähigkeit oder Korruptionsanfälligkeit der dortigen Regierungen, sondern in den globalen Strukturen, die bis heute auf einem Modell der Ausbeutung aufbauen.
Genau deshalb dürfen wir nicht aufhören, diese Probleme zu thematisieren, immer und immer wieder. Solange es Menschen gibt, die die Vertreter*innen von Politik und Wirtschaft an ihre Verantwortung erinnern, kann sich niemand mit der faulen Ausrede «Davon habe ich nichts gewusst» aus der Affäre ziehen. Die Sache ist erst verloren, wenn niemand mehr darüber spricht, und für die Menschen in Espinar und anderen Regionen des Globalen Südens ist es von grosser Bedeutung, zu wissen, dass es in der Schweiz eine Zivilgesellschaft gibt, die sich für sie einsetzt und an ihrer Seite kämpft.
Von einem Sessel in Bern aus ist es einfach, wegzuschauen und Entscheidungen zu treffen, die Leben zerstören können. Deshalb möchte ich Herr Cassis und Frau Keller-Sutter mit Nachdruck nach Espinar einladen. Sollen Sie den Müttern, deren Babys auf Grund des Bergbaus an Leberzirrhose oder Niereninsuffizienz gestorben sind, ins Gesicht sagen, dass ihr Leben für sie weniger Wert hat als der Wohlstand von Herr und Frau Schweizer.
PS: Der Film «Das Blut des Flusses» wird Ende November oder Anfang Dezember auf YouTube öffentlich zugänglich gemacht!