Unversöhnliche Haltungen und brutale Gewalt  

Die Konflikte in Peru flauen nicht ab, im Gegenteil: Fast täglich werden neue Tote und Verletzte gemeldet. Die Zahl der Toten beläuft sich nach einem Monat auf 41 Zivilisten und einen Polizisten. Darüber hinaus starben sieben weitere Menschen bei Verkehrsunfällen und anderen Vorfällen im Zusammenhang mit den Strassenblockaden, die in vielen Landesteilen errichtet wurden. In den acht Provinzen Andahuaylas und Abancay (Apurímac), Arequipa (Arequipa), Cusco (Cusco), Leoncio Prado (Huánuco), Tacna (Tacna), Puno und Sandia (Puno) sind laut Ojo Público sämtliche Aktivitäten lahmgelegt, vielerorts findet kein Schulunterricht statt und alle Strassen sind blockiert. Die Flughäfen verschiedener Städte öffnen und schliessen alle paar Tage, je nach Situation.

Der Generalstreik im Süden des Landes dauert nun schon fast zwei Wochen, zu den Protestmärschen kommen Mahnwachen für die Menschen, die durch Polizeigewalt getötet wurden. In Cusco begleitete eine grosse Gruppe von Angehörigen und Freunden den Trauerzug von Remo Candia Guevara, dem Präsidenten der Gemeinde Anansaya Urinsaya Ccollana, der am Mittwoch an den Folgen eines Brustschusses starb. Ebenfalls gestorben ist ein 15-jähriger Teenager in Juliaca, der sich seit Montag im Spital befand, nachdem die Polizei ihm bei einer Demonstration in den Kopf geschossen hatte. Videos aus verschiedenen Provinzen zeigen, wie brutal die Polizei gegen die Bevölkerung vorgeht, hier zum Beispiel in Cusco. Die Bevölkerung skandiert inzwischen vielerorts «Dina Asesina» (Mörderin Dina).

Auch in Espinar gehen die Menschen auf die Strasse; dort verbinden sich die Proteste auf Grund der aktuellen Situation mit den Protesten gegen das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore. Nachdem Demonstranten ins Minengelände eingedrungen waren, forderte Glencore die Behörden und die Bevölkerung in einem öffentlichen Schreiben auf, in Dialog zu treten, um tragfähige Lösungen für die Situation zu finden, mit der das Land konfrontiert ist. Doch nicht nur im Süden des Landes gibt es Demonstrationen – auch in Lima gehen verschiedene Gruppen auf die Strasse. Sie alle rücken nicht von ihrer Forderung nach schnellen Neuwahlen ab, und der Druck auf Präsidentin Dina Boluarte wächst zunehmend.

Proteste in Puno. © Noticias SER

Journalisten, die über die Proteste berichten, laufen Gefahr, selbst Opfer von Polizeigewalt zu werden. Bekannt geworden ist zum Beispiel der Fall von Aldair Mejía, der bei der Berichterstattung über die Proteste in Juliaca (Puno) von einem Projektil getroffen wurde, das ihm das Bein brach. Laut dem Nationalen Journalistenverband (ANP) sind bereits 12 Drohungen und Übergriffe gemeldet wurden. Zehn davon betreffen Polizeibeamte, die Medienleute angriffen, versuchten, sie festzuhalten oder ihre journalistische Ausrüstung zu beschädigen, obwohl sie Presseausweise vorzeigten.

«Eine Versöhnung ist schwierig»

Die Situation wird immer verfahrener, und weder die Demonstranten noch die Regierung rücken von ihrer Position ab. «Nach der Zahl von über 40 Toten in einem Monat, die Dina Boluarte und das Kabinett Otárola zu verantworten haben, ist es für das Land äußerst schwierig, sich zu versöhnen oder Wege des Dialogs mit denselben Akteuren zu finden, die diese enorme Tragödie verursacht haben», schreibt der Soziologe Víctor Caballero Martin auf der Online-Plattform «Noticias SER».

«Es gibt keine einfachen Erklärungen und noch weniger Rechtfertigungen für den Versuch, andere für die politische Krise und die Todesfälle verantwortlich zu machen. Was hier am Werk ist, ist die Summe aller Inkompetenzen und Unzulänglichkeiten der politischen Klasse, der Parteien, der Presse und der Meinungsmacher.»

Die Anschuldigungen seitens der Regierung, dass der bolivianische Ex-Präsident Evo Morales die Bevölkerung von Südperu zum Protest anstachelt und sogar finanziell unterstützt, kommentiert Caballero als «Beleidigung für die Intelligenz». Genauso wie die Behauptung, der illegale Bergbausektor finanziere die Proteste. «Es gibt nur einen Weg, um zu verstehen, was im Süden geschieht. In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich sehr starke regionale Identitäten herausgebildet, die dem politischen Zentralismus gegenüberstehen. Niemals zuvor wurde so deutlich wie jetzt, dass die zentralisierten Behörden in Lima von der Bevölkerung des Südens weder gut aufgenommen noch respektiert werden. Sie gönnen den Präsidenten keine Verschnaufpause, denn sie setzen sie sofort unter Druck, damit sie ihre Versprechen zu erfüllen, von denen die meisten unerfüllbar sind.»

Aus diesem und aus anderen Gründen sowie wegen ihrer indigenen Identität wird die Bevölkerung von Puno und anderen südlichen Provinzen als Terroristen und als Kriminelle abgestempelt – und zwar schon seit Jahren. Caballero spricht von einer unversöhnlichen Haltung gegenüber der Bevölkerung des Südens, gegenüber ihren Forderungen, gegenüber ihren gewerkschaftlichen und politischen Führern. «Mit wem sollen sie dann reden, wenn sie nicht einmal als legitime Akteure betrachtet werden?» 

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