Lechts und Rinks …

In den letzten Jahren hatte ich immer wieder das ungute Gefühl, dass die politischen Kategorien «Rechts» und «Links» bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurden. «Natürlich» habe ich mich ein Leben lang als Linke bezeichnet und gefühlt, auch wenn ich nie einer Partei beitreten wollte. «Es könnte ja sein, dass man irgendwann einmal nicht einer Meinung ist mit der Parteiparole», habe ich immer gesagt, «und dann müsste man entweder austreten oder für etwas plädieren, woran man nicht glaubt.» Und während der Pandemie scheint dieser Fall nun eingetroffen zu sein.  

Es kamen heikle Fragen auf: Vertrete ich eine rechte Ideologie, wenn ich die Pandemie-Massnahmen des Bundesrates in Frage stelle, nur weil gewisse «Rechte» dies auch tun? Mir war nie klar, warum ich (sic!) als Holocaust-Leugnerin bezeichnet wurde, wenn ich mich gegen eine Impfpflicht aussprach und dafür plädierte, dass jeder selbst über seinen Körper entscheiden soll. Stein des Anstosses war unter anderem ein Text vom 27. November 2020 gewesen.

Nun hat eine Anti-Rassismus-Stelle im deutschen Bundesland Hessen eine Broschüre herausgegeben, die erneut zu Kopfkratzen führt. Schon der Titel, «Erscheinungsformen der extremen Rechten zwischen Ökologie und Esoterik», lässt mich stutzen, bin ich doch in der Vergangenheit auch schon als Öko-Fuzzi und Eso-Tante bezeichnet worden. Die despektierlich gemeinte Etikettierung kam allerdings von konservativer Seite, die mich damit definitiv im linken Kuchen verortete. Doch das war vor Corona.  

Seit 2020 sind die alten Definitionen von Links und Rechts offenbar durcheinandergeraten. Auch weil es politische Anliegen gab, die plötzlich von Menschen vertreten wurden, die vorher das Heu ganz und gar nicht auf der gleichen Bühne hatten.

Die Broschüre aus Hessen erklärt, warum es zu so eigenartigen Schlussfolgerungen und Zuordnungen kommen kann. Zwar setzt sie Rechtsextremismus in Verbindung mit Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Islamfeindlichkeit. So weit so gut. Doch dann werden Zusammenhänge hergestellt, denen ich nicht mehr folgen kann. Der Einsatz für Naturschutz und das traditionell mit Hippies assoziierte Aussteigertum, die Kritik an den Konsequenzen des Globalismus und sogar die Auseinandersetzung mit Spiritualität und ganzheitlicher Medizin sollen plötzlich Anzeichen für Rechtsextremismus sein? Die so genannte «alternative Szene» ein «Deckmantel für die Neue Rechte» und «anschlussfähig an die Ideologie des Nationalsozialismus»?

Ah, Anthroposophen sind übrigens auch rechtsextrem, weil sie «eine gesunde Lebensweise, ausreichend körperliche Bewegung und eine positive Weltanschauung» als gesundheitsfördernd betrachten. Nicht zu vergessen die grüne Partei, an deren Gründung in den 80er Jahren «völkische und nationalkonservative Akteure» beteiligt waren. Ups. Damit habe ich definitiv den Überblick verloren.

Unter anderem geht es darum, dass man sich suspekt macht, wenn man «Wissenschaftskritik» betreibt. Das liegt unter anderem daran, dass einem kaum jemand richtig zuhört, wenn man zu bedenken gibt, dass das «aufgeklärte», rational-analytische Weltbild nicht das Mass aller Dinge ist. Dass es andere Denkmodelle und Weltbilder gibt, die genauso ihre Daseinsberechtigung haben und genauso adäquate Richtlinien sein können, wenn es um unser Verständnis von kosmischen Zusammenhängen und daraus abgeleiteten Handlungsmaximen geht – wie ich das zum Beispiel in einem Text vom 29. April 2020 beschreibe; oder auch in meinem Buch «Daphne und die Sonne».

Solche Reflexionen – die zum Beispiel auch in einer Zurückkaltung vor einem exzessiven Einsatz von chemischen Mitteln, sei es in der Landwirtschaft oder in der Medizin, beinhalten – haben nichts mit einer vollkommenen Ablehnung jeglicher wissenschaftlicher Erkenntnisse zu tun. Nichts damit, dass man ins Mittelalter zurückkehren möchte oder sich in menonitischer Manier gegen jede technologische Erfindung sträubt, weil sie des Teufels sei. Aber eine Debatte über die Bedeutung, Reichweite und Grenzen des wissenschaftlichen Weltbildes sind kaum möglich, weil man oft gleich vom Vornherein in die Ecke «Querdenker, Verschwörungstheoretikerin, irrationale Aufwieglerin» gestellt wird.

***

Diese seltsamen Schlussfolgerungen, die in der Broschüre aus Hessen nicht zum ersten Mal auftauchen, hat mich eine Weile lang tatsächlich verunsichert und in meiner politischen Selbstidentifikation erschüttert. Bis ich mich mit den Frauen des links-feministischen Netzwerks «Linksbündig» unterhalten habe, die mich zurück auf den Boden der Tatsachen geholt haben. «In der Vergangenheit ist es immer eine wichtige Aufgabe der Linken gewesen, für die Pluralität der Meinung und die Debatte einzutreten», sagen sie. «Doch heute gibt es viele Linke, die sich nicht mehr getrauen, sich kritisch zu äussern. Denn wer es wagt, vom Narrativ abweichende Meinungen einzubringen, gilt als unsolidarisch, als rechts oder als Verschwörungstheoretikerin. Doch diese rechte Etikettierung, an der sich auch die Linke mit ihrem Moralisieren beteiligt, entspricht einfach nicht der Wahrheit.»

In diesem Sinne würde ich vorschlagen, dass wir die Kategorien «Links» und «Rechts» ganz abschaffen, statt sie bis zur Unkenntlichkeit zu vermischen. Da bin ich lieber wieder das Öko-Fuzzi und die Eso-Tante. Denn ich setze mich weiterhin und mit der gleichen Dringlichkeit wie bisher für Menschenrechte und Umweltschutz sowie gegen Rassismus, Sexismus und Diskriminierung aller Art ein. Für Toleranz und Gleichstellung von Geschlechtern, Kulturen, Religionen, für einen gewaltfreien Umgang mit Mitmensch und Natur. Wenn das plötzlich rechts sein soll, jä nu.


Manche meinen, lechts und rinks
kann man nicht velwechsern –
werch ein Illtum. 


Ernst Jandel


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