«Die denken, wir haben immer ein Lama dabei»

Was ein Gringo oder eine Gringa ist, wissen wir ja: das, was wir Auslandeinsatzleistende immer sind: die Weissen, die aus irgend einem Grund – und meistens nicht aus einem positiv konnotierten – ins Land kommen. Bevor ich hierher gekommen bin, wurde ich gewarnt, dass mir das schon mal an den Kopf geworfen werden könnte. Ist bisher nicht passiert, im Gegenteil – sowohl in La Paz als auch in Santa Cruz sind mir die Bolivianer_innen sehr freundlich begegnet. Was ich dagegen immer wieder höre, sind die – ja man kann schon fast sagen Schimpfwörter – «Camba» und «Colla». Damit fahren die Bolivianer_innen allerdings nicht den Ausländer_innen an den Karren, sondern sich untereinander.

Cambas und Collas
Mit «Cambas» und «Collas» werden zwei fundamental unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen des Landes bezeichnet. Kurz gesagt, Anden versus Tiefland, Indigene versus «Mischlinge». Dass sie fundamental verschieden sind, entspringt dabei nicht einer Aussenperspektive – obwohl die stereotypischen Unterschiede auch aus dieser durchaus sichtbar sind –, sondern ist das, was man hier vor Ort dauernd hört. Und zwar wirklich dauernd. Im vollen negativen und despektierlichen Sinn, der in diesen Ausdrücken mitschwingt. Als «Collas»bezeichnen die Bolivianer_innen des Tieflandes (zu dem Santa Cruz gehört) die Bolivianer_innen der Andenregion. Und wenn jemand über «Collas» spricht, meint er damit: diese verschlossenen, spröden, unfreundlichen und konservativen Indigenen des Altiplano. Die so anders sind als wir hier im Tiefland, wir Aufgeschlossenen, Modernen, Lebensfreudigen, Coolen. Jene dagegen äugen nicht minder kritisch auf diese: die Tiefländler mit ihrer allzu freizügigen Kultur, ohne Beziehung zur Natur, die Mischlinge und die Weissen, die gar keine ursprünglichen Bolivianer_innen sind, sondern Nachkommen der Einwanderer, der Kolonialherren.

Interner Rassismus?
Dieser Hickhack ist weit schwerwiegender als etwa der Schweizer Kantönligeist, es scheint tatsächlich eine weit verbreitete und tiefe gegenseitige Abneigung vorzuherren, die von inländischen Medien teilweise als richtigen Rassismus bezeichnet werden. Ein grosses Problem der Cambas ist, wie ich in Santa Cruz heraushöre, dass sie im Ausland nicht als richtige Bolivianer_innen betrachtet werden. «Die denken, dass in Bolivien alle mit polleras (typische Röcke der indigenen Frauen) und cholita-Hüten herumlaufen und ein Lama dabei haben», schimpfen sie, wenn sie – nicht aus Europa oder den USA, sondern aus Nachbarländern – zurückkommen. «Aber so sind wir nicht, wir Bolivianer!» (und man hört zwischen den Zeilen: Wir richtigen, weil fortschrittlichen Bolivianer!)

Jemand aus meinem Arbeitsumfeld erzählte kürzlich von einer Weiterbildung in einem anderen lateinamerikanischen Land und von einem bolivianischen Teilnehmer aus einem andinen Departement, der sich erdreistet hat, vor versammelter Gemeinschaft mit klar und deutlichem Blick auf sie, eine Camba, in wüstem Ton und unter Herbeiziehung der schlimmsten Klischees und Stereotypen über die Bolivianer_innen des Tieflands herzuziehen. «Immer pauschalisieren sie so und machen uns Cambas herunter!», erklärt sie. Und ein Aufschrei der Empörung geht durch die Runde am Znünitisch. «Das ist so typisch Colla! Die sind immer soooo und sooo und sooooooo!!» Ich sage nichts. Die Bedienung von Stereotypen funktioniert offenbar auf beiden Seiten problemlos, leider.

Wie viel diese Sache mit der hier in Santa Cruz deutlich spür- und hörbaren Ablehnung gegen den indigenen Präsidenten Evo Morales zu tun hat, weiss ich noch nicht so richtig. Ich habe jedoch auch schon Raunen gehört, dass Weisse (verbal) rassistisch angegriffen worden seien, seit Evo an der Macht sei. Das Herumfragen bei einigen Bekannten rief Erstaunen hervor, dies hätten sie noch nie gehört. Unbestritten dagegen sind die (tätlichen) rassistischen Angriffe auf indigene Frauen in ihren polleras hier in Santa Cruz, wo es einige Gruppierungen gibt, die im Jahr 2008 noch mit Hitlerkreuzen durch die Stadt liefen. Ich sage: einige Gruppierungen, nicht «die Cambas». Aber solche Subtilitäten traue ich mich zurzeit am Znünitisch noch nicht einzubringen, höchstens ein vorsichtiges «Aber es gibt doch sicher Unterschiede, es sind ja nicht alle gleich?» Natürlich nicht, versichert man mir schnell. Eine Bekannte sei mit einem Colla verheiratet, der ganz anders sei. Er lebe halt schon lange in Santa Cruz und habe sich dadurch (ich höre zwischen den Zeilen: zum Positiven) verändert. Beweis: Er schimpfe nun selber auch auf die Collas.

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3 Kommentare

  1. Liebe Nicole

    Was du schon alles in dieser kurzen Zeitspanne begriffen hast, bringt mich ins Staunen! Dazu brauchte ich mindestens ein Jahr. Der Unterschied ist wohl, dass ich mich mit den cholitas im Hochland von Peru solidarisierte und für mich dort die Bezeichnung „gringa“ oder gar „gorda“ nichts abschätziges mehr bedeutete.
    Gestern fand das Roseyrennen an der Wassere statt. „Unsere“ Strasse wurde von den „Bonzeschlitten“ in Beschlag genommen (=Chaos pur). Was da von mir oder meinem Mann aus dem Mund spickte, könnte man gleichsetzen mit denen der Collas und Cambas – oder noch schlimmer. …und die Welt dreht sich trotzdem und unsere Abhängigkeit voneinander ebenso!
    Herzliche Grüsse ins feuchtheisse Tiefland (du scheinst wohl kein Problem mehr damit zu haben…)

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    • Vielen Dank, liebe Esther! – Ich solidarisiere mich im Moment noch gar nicht, sondern bin nur am beobachten… Ganz einfach ist es nicht, zu verstehen, was zwischen den Zeilen mitschwingt. Die Cruceños und Cruceñas (Bewohner_innen von Santa Cruz) sind allerdings recht freizügig mit ihrer Meinung und ihren Kommentaren… 
      Über den Vergleich mit den Roseys grinse ich immer noch – jajaaa die Roseys 😉 Liebe Grüsse aus dem Regensturm – das Klima ist erträglicher als gedacht, denn Wind und Regen kühlen das Ganze doch immer wieder ziemlich herunter! 🙂

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  2. Liebe Nicole
    Das dieser Rassismus zwischen Cambas und Collas immer noch existiert hätte ich mir denken können; -er erstaunt mich in seiner Heftigkeit jedoch trotzdem. Tatsache ist, dass die Indigenen auf dem lateinamerikanischen Kontinent ziemlich überall mit diesem „desprecio“ seitens der weissen und mestizischen Bevölkerungsgruppen zu kämpfen haben. Nur in Ecuador und Bolivien, wo sie in den letzten JAhren politisch an Oberwasser gewonnen haben, dreht sich der Spiess nun halt auch um.
    Ich grüsse dich herzlich aus Zürich-Seebach

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