Delikt: «Verteidigung der Menschenrechte»

Proteste gegen Glencore in Espinar, Juli 2020. Foto © Vidal Merma

Wie versprochen, hier mein erster längerer Beitrag zum Thema Konzernverantwortungsinitiative, welcher auf deutsch von COMUNDO und auf spanisch von IDECA publiziert wurde. Das Foto- und Videomaterial stammt vom peruanischen Journalisten Vidal Merma, der im Juli dieses Jahres zum wiederholten Mal von der Polizei tätlich angegriffen wurde, weil er seit 15 Jahren dokumentiert, welch gravierenden Schäden das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore in Espinar (Cusco, Südperu) anrichtet und wie gewalttätig die Polizei gegen die indigenen Gemeinden vorgeht, die dagegen protestieren. «In Peru gibt es keine Pressefreiheit» sagt er. «Die Wahrheit zu berichten, ist zu einem Delikt geworden.» Deshalb tut ihm und allen anderen Bewohner_innen von Espinar den Gefallen und verbreitet diese Aufnahmen. Jede_r Schweizer_in trägt ganz persönlich Mitverantwortung an diesen Ereignissen, denn am 29. November haben wir die Möglichkeit, ein JA zur Konzernverantwortungsinitiative zu erreichen. Geht bitte abstimmen und überzeugt Menschen in eurem Umfeld von der Wichtigkeit dieser Initiative. Hier sterben Menschen, weil ein Schweizer Konzern seit 35 Jahren wütet, ohne sich um die Konsequenzen zu kümmern.

Oscar Mollohuanca, Menschenrechtsverteidiger und ehemaliger Bürger-meister von Espinar, im Interview mit Nicole Maron.

wie sieht die aktuelle Situation in Espinar aus?

Auf Grund eines Streiks, der am 15. Juli begonnen hat, ist die Situation in Espinar zurzeit sehr heikel – auch wegen Covid-19, denn dadurch, dass wir uns entschieden haben, uns zu versammeln, um zu protestieren, haben wir uns einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Der aktuelle Aufstand ist bereits der sechste in den vergangenen 35 Jahren, in denen wir unter den Auswirkungen des Bergbaus leiden, und heute werden wir erneut Opfer von Menschenrechtsverletzungen seitens des Staates. Am 22. Juli hat die Polizei junge Bürgerinnen und Bürger von Espinar tätlich angegriffen, geschlagen und auf sie geschossen, als sie sich auf dem Rückweg von einer gewaltfreien Demonstration befanden. Dies kommt einer Verletzung unserer minimalsten Grundrechte gleich, weshalb wir in den Verhandlungen mit der Regierung und mit Glencore auch fordern, dass diese Vorfälle juristisch untersucht werden.

Was ist der Grund für die wiederholten Proteste?

Die Beziehung zu den Bergbaukonzernen war schon immer von sozialen und Umweltproblemen sowie Gewalt geprägt, und dagegen wehren sich die Bewohner/-innen von Espinar heute genauso wie auch im Jahr 2012, als ich noch Bürgermeister war. Ich stand damals an der Seite des Volkes, und dafür wurde ich verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Der Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen, und ich weiss nicht, ob ich freikomme oder zu 20 Jahren Gefängnis und einer Strafe von fünf Millionen Soles (1’280’000 Franken) verurteilt werde, auch wenn ich natürlich versuche, mich mit der Wahrheit zu verteidigen. Die Polizisten dagegen, die 2012 drei Menschen getötet haben, mussten sich in keiner Weise dafür verantworten, ihre Akten wurden archiviert. * 

Also schützt der Staat die Bergbaufirmen?

Natürlich, im Zusammenhang mit der politischen Stossrichtung unserer Regierung, welche Investitionen im Bergbausektor unterstützt, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Dabei werden andere Sektoren wie die Landwirtschaft, die hier in dieser Region eine jahrtausendlange Tradition hat, vollkommen links liegen gelassen. Dafür kehrte die Regierung vieles unter den Tisch und macht sich zu Verbündeten der Konzerne, obwohl ihr Mandat eigentlich darin bestehen sollte, das Wohlbefinden und die Rechte seiner Bürger/-innen zu schützen.

Könnte die Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz helfen, die Situation hier vor Ort zu verbessern?

Wenn das Ziel dieser Initiative ist, ernsthaft für ein bisschen Menschlichkeit zu sorgen, ist sie für uns sehr wichtig. Denn die Richterinnen und Staatsanwälte hier in Peru sind Verbündete der Bergbaukonzerne. Kein Anwalt wagt es, eine Anzeige gegen einen von ihnen zu machen, denn er hat Repressalien zu befürchten und wird wahrscheinlich keine Klientinnen und Klienten mehr finden. Wenn die Konzernverantwortungsinitiative dazu führen kann, dass unsere Situation von Gerichten beurteilt wird, die unabhängig und auf Grund von Beweisen urteilen, wäre das eine grosse Erleichterung für uns, denn Beweise gibt es zur Genüge.

Nachtrag: Mitte Dezember 2020 wurde Oscar Mollohuanca in erster Instanz freigesprochen. Der Richter betonte unter anderem das Recht auf friedlichen Protest. Ausserdem würden keine Beweise gegen den Angeklagten vorliegen. Die Staatsanwaltschaft wird allerdings Einspruch gegen das Urteil einlegen. Für sie sind diejenigen, die zu einem Protest aufrufen, für jegliche Straftaten während dieses Protests persönlich verantwortlich und haftbar – selbst dann, wenn sie von anderen begangen wurden. Der weitere Verlauf dieses Prozesses ist derzeit noch unklar.


Fotos und Videomaterial: © Vidal Merma
Schnitt: Marcel Kaufmann, Comundo
Deutsche Untertitel: Martin Wanner

7 Kommentare

  1. Liebe Nicole

    Danke für dein Engagement für die KoVI. In meiner Gemeinde organiseren wir kommenden Sonntag einen ‚Marsch der Gerechtigkeit‘ mit anshcliessendem Gottesdienst zum Thema der Konzernverantwortungsinitiatibve, gemeinsamem coronakonformem Kürbissuppeessen und dem Zeigen des Filmes ‚Konzernreport‘.

    Con saludos solidarios
    Esther.

    Gefällt 1 Person

  2. […] Im September habe ich darüber berichtet, wie der Menschenrechts- und Umweltverteidiger Oscar Mollohuanca in Peru strafrechtlich verfolgt wird, weil er die Proteste gegen den Schweizer Konzern Glencore in Espinar mitgetragen hat. Die Anklage lautete auf Verkehrsbehinderung und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, denn während der Proteste entstand Sachschaden, unter anderem an den Einrichtungen des Bergbaukonzerns Tintaya. Nun wurden Oscar Mollohuanca und zwei weitere Angeklagte – Vorstehende einer wichtigen zivilgesellschaftlichen Organisation von Espinar – in erster Instanz freigesprochen. Der Richter betonte unter anderem das Recht auf friedlichen Protest. Ausserdem liegen keine Beweise dafür vor, dass die Angeklagten am Delikt der Sachbeschädigung persönlich beteiligt waren. […]

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